K E I N E N D E D E R G E S C H I C H T E – D Ö R F E R I M WA N D E L
Künstlerische Bearbeitung leerstehender Höfe und Scheunen in Schlierbach
Ausstellung: 17. Juli – 28. August 2005 in Neuental-Schlierbach/Hessen




Die Arbeiten   [Fotos folgen]




Karin Lina Adam und Sandrino Sandinosta Sander – Erdzeichen

Die Erdmalerei auf großformatigen Leinwänden der Künstler Karin Lina Adam und Sandrino Sandinista Sander ist inspiriert von ursprünglicher bäuerlicher Arbeit und dörflichem Ambiente. Diese Reflektionen beinhalten auch die Thematisierung des Prozesses der Umformung der Natur- in Kulturlandschaft. Organische bis amorphe Strukturen stehen den linearen gegenüber.

Der manuell malerische formulierten Frage nach der ruralen Entwicklung seit dem Neolithikum folgt in einem poetuischen Kunstvideo die Auseinandersetzung mit Zerfall und Modifikation urbaner Strukturen, die vielleicht einen utopischen Entwurf neuer „Ruralität“ anklingen lassen und auf Zukunftsmöglichkeiten von Dörfern im Wandel weisen.




Ariane Gutzmer – Blaue Hocker

Mit dem Strukturwandel der Dörfer vom landwirtschaftlich bewirtetem Dorf hin zum Wohn- und Schlafdorf ohne Infrastruktur (keinen Bäcker, Gaststätte etc.) findet ein Rückzug in das Private statt, jeder bewegt sich in seinen eigenen Bahnen. Die Solidargemeinschaft Dorf zerfällt.

Als Initialzündung werden 30 Hocker auf dem ehemaligen Dorfplatz ausgesetzt und warten darauf, bespielt zu werden. Sie sollen dazu animieren, den öffentlichen Raum wieder zu besetzen. Es steht den Benutzern offen, sie an dem Ort zu belassen, sie anders zu gruppieren, mit ihnen andere Orte innerhalb des Dorfkernes zu besetzen oder weitere Stühle oder Dinge hinzu zu fügen. Anhand der Bewegung und der Formation der Stühle werden Muster des Zusammentreffens, der Kommunikation, sowie die dafür geeigneten Orte sichtbar.

Als Platzhalter für die Individuen beleben die blauen Hocker den öffentlichen Raum und zeigen die unbeachteten Qualitäten. Die Form des Vorhaben ist ein Prozeß, der sich ausweitet, vernetzt und schließlich verselbstständigt.




ter Hell – Fries

Ter Hells Arbeit (Kirchstraße) zeigt eine Weltordnung in der These von Nietzsches Wort „der Wiederkehr des ewig Gleichen“ – verstanden als Energie-Materiesatz.

Aufgeschlüsselt in folgende vier Komponenten:

1. Geist und Wirkung – Dualismus; Identifikation mit dem Agressor. Archaik.
2. Verkantung des Systems bis zur Apokalypse; Multivision,Jetztzeit, Status Quo.
3. Aus Jetztzeit-Information resultierend mögliche revolutionäre Energie, Hoffnung auf Zukunftsfähigkeit.
4. Entwicklung eines neuen Wir-Gefühls. Änderung bestehender Machstrukturen und der Informationsqualität sowie notwendige Konsequenzen.

In der Arbeit begegnen sich die gewachsenen, Jahrhunderte alten Bau- und Lebensstrukturen mit der Struktur der vernetzten und virtuellen Information.

www.terhell-berlin.de




Stefan Kreide – O.T.

Die Bedeutung des Dorfes ergibt sich aus der Notwendigkeit des Bergens und der Gegebenheit der Verflüchtigung. Für die dorferneuernden Bestrebungen sind diese Termini ebenfalls von grundsätzlicher bedeutung, wobei die Techniken im Umgang mit Gegebenem ambivalent sind. Sozial, soziokulturell, kulturgeschichtlich, infrastrukturell (....) motiviertes und ausgerichtetes Handeln kollidiert gegenseitig.

Unser Blick ist melancholisch begründet, urban geprägt, retrospektiv gerichtet, jedoch gewissermaßen geschichtslos, also ankerlos, also grundlos.

Zu Tage tritt eine Unfähigkeit unbedingt zu bergen. An diesem Punkt wird eine starke Sehnsucht nach ursprünglichem Lebens- und Arbeitsstrategien offenbar. Diese ist geprägt von einer emotionalen Nähe einerseits und dem Empfinden einer grundlegenden Absenz andererseits.

Ein demnächst renoviertes Fachwerkhaus, dessen Bausubstanz zunächst eine Grundsicherung verlangt, wird mit einem bergenden, schachtelhaften Unterbau aus Schalungsholz versehen und einen – an Hegels Begriff der Synthese anknüpfenden – Anspruch anmassend formulieren: beseitigend, bewahrend, hinaufhebend wird aufgehoben.




Wolfram DER Spyra – Im Brandfall
Licht- & Klanginstallation (Leuchtdioden, Lautsprecher, DVD, Klangkomposition, je 4.24 min)

“Im Brandfall bitte Ruhe bewahren!” – Dieses oberste Gebot der Brandschutzvorschriften wird als optischer Morsecode am Schlierbacher Feuerwehrturm vsualisiert. Statt des dazugehörigen akustischen Morsesignals erklingt ein Rhythmus aus tiefer (für “ditt”) und hoher (für “daa”) Trommel.

Auf dem Grundrhythmus einer siebenmaligen Wiederholung des gemorsten Satzes entsteht durch Überlagerung mit weiteren Perkussionsinstrumenten und schließlich des Morsetons selber eine Komposition, die gleich einem aufloderndem Feuer den Syntax und die Semantik des codierten Satzes in Frage stellt.




Penko Stoitschev – Raiffeisen
Klang-Installation 14 – 22 Uhr

Die räumlichen Bedingungen und die Situation Vorort, sowie der 14tägige Aufenthalt in Schlierbach sind massgeblich für die Gestaltung der Klang-Installation “Raiffeisen”.
Die Komposition besteht aus 8 Schleifen [Loops], die nicht alle gleichlang sind, so dass es zu immer neuen Kombinationen kommt. Die längsten Schleifen sind 80 Minuten lang.
Klanglich reicht das Spektrum von rein elektronischen Klängen, urbanen und industriellen Atmosphären, bis hin zu inszenierten Geräuschaufnahmen mit Metall, Holz, oder Glas.
Insgesamt 16 Lautsprecher sind im Raum verteilt. Die Besucher können durch Bewegung im Raum ihren eigenen “Mix” entdecken oder sich auf einer der zahlreichen Sitzgelegenheiten den Klangphänomenen hingeben. Mit zahlreichen Pausen aufgelockert, soll die Atmosphäre zum Verweilen verleiten und die Besucher in Ihrer Wahrnehmung schärfen.