T O T E N I N S E L
Zur Ausstellung vom 6. Mai bis 19. Juni 2005 im Kunstfaktor.


Fast jeder kennt die Toteninsel, dieses düstere und geheimnisvoll romantische Gemälde von Arnold Böcklin: die einsame Felsenformation im Meer, bewachsen von steil aufragenden Zypressen, auf die ein Boot mit einem Sarg zusteuert, um in den in die Felsen eingelassenen Grabkammern einen Verstorbenen zu begraben. Dieses Bild, das Böcklin zunächst auf Wunsch der jungen Witwe Marie Berna, der späteren Gräfin von Oriola, die sich „ein Bild zum Träumen“ wünschte, schuf; dieses Bild, das er in der Folge wegen seines besonderen Interesses an diesem Motiv und wegen des außerordentlichen Anklangs, den sein Werk fand, zwischen 1880 und 1886 gleich in fünf Versionen malte; dieses Bild, das auf einer bekannten Fotografie Hitlers und Molotows in Hitlers Reichspräsidentenpalais zu sehen ist; dieses Bild, das zahlreiche Epigonen zu nachempfundenen Gemälden und Stichen inspirierte und – in seiner dritten Fassung – heute in der Berliner Alten Nationalgalerie immer noch die besondere Aufmerksamkeit der Museumsbesucher auf sich zieht.

Die außerordentliche Faszination,
die von diesem Gemälde ausgeht, hat nun den Berliner Künstler Schädelwaldt dazu bewegt, gemeinsam mit der Berliner Galerie Kunstfaktor 25 Kunstschaffende zu versammeln, um in einer gemeinsamen Ausstellung ihre gegenwärtige Interpretation der Toteninsel vorzustellen. Dabei wird sich eine erstaunliche Vielfalt von Blicken auf die Toteninsel ergeben, verschiedene Momente des Bildes werden mithilfe unterschiedlicher Medien, Materialien und Methoden aufgegriffen. Schon bei Böcklin selbst finden sich fünf voneinander in vielen Nuancen abweichende Versionen, und das Gemälde selbst steht in Kontrast zu einem weit weniger bekannten Werk des Malers: der Lebensinsel von 1888. Die zahlreichen im Werk angesprochenen Themen, wie der Gegensatz von Natur und Kultur, die Opposition von Tod, Vergänglichkeit und Leben, die sexuellen Konnotationen des mit aufgerichteten Zypressen bewachsenen Felsenbeckens etc., sie alle begründen die Spannung, die dieses nur scheinbar so ruhige Bild ausstrahlt. So wird es auch in dieser Ausstellung mit Kunstwerken der Gegenwart ein kontrastreiches Ensemble individueller Zugänge zu diesem Werk geben. Wir dürfen gespannt sein!

Jan-Christoph Heilinger






Warum wir alle eine Toteninsel brauchen oder
Sterben
als Geschlechtsakt ohne Anstrengung

Essay von Schädelwaldt


Die Unsicherheit
einer Erlösungsidee dahin zwingen, dass sie für alle eine freundliche, aufmachende Erkenntnis zu einem besseren Ich-Sterben wird.

Die
erste Frage eines aufgewachten, in Bewusstheit eingegangenen Menschen könnte lauten: „wie will ich eigentlich sterben?“ Denn der Tod ist das Zukünftigste, das am weitesten Entfernteste von Hier und Jetzt für uns, danach nämlich beginnt die Unmöglichkeit des Beweises für das, „was wirklich ist“. Es bleiben das „Glauben“ und das „Wissen“ im Streit um die eine große Frage: was kommt nach dem Tod?

Zunehmend
aber wird in einer immer mehr, der freien Räume abnehmenden Naturwelt und in den dichter werdenden Großräumen der Metropolen, die Frage nach dem „wo will ich eigentlich sterben?“, lauter und drängender werden. Das „Wo“ wird also immer mehr dem „Wie“ angebunden sein und eines Tages gleichbedeutend schwer daneben stehen, um dann in letzter Phase in einer Art Überholspur die erste aller Fragen zu sein, weit vor dem „Wie“ Antworten wollen.

Denn
die Räume und die Orte des Sterbens sagen alles über die dort Sterbenden aus. Nur ein Beispiel, niemals zu vergessen und immer wachzuhalten, die Gaskammern der deutschen Geschichte. Von den Millionen her, wenn man die Sterbeflächen, also das „Wo“ betrachtet, die dort bis zur Asche durchgezwungen wurden, das brutalste Quadratmeterkonzentrat des Mordens. Versteckt und in seiner Bauart die raumeinengengsten Tötungsorte der gesamten Menschheitsgeschichte. Das „Wie“ und das „Wo“ mit Zyklon B und der bewußt ausgeführten Raumnot waren in eine vollkommene Fremdbestimmung übergegangen, die jedes Ich-Sterben in ein absolut entindividualisiertes Massensterben umgesetzt hatte.

Und
wo man so stirbt, oder besser gesagt, wo man so sterben lässt, da ist auch die Umgebung zutiefst verdrängt todessüchtig, todestabuisiert und damit weit weg von jeder geklärten Bewusstheit über Sterben und Leben, über Ich- und Fremdbestimmung. Die Umgebung, und das muss ganz deutlich gesagt werden, muss hier die „Wo-Fläche“ eines Dorfes, eines Landes, ja, sogar die der ganzen Welt bedeuten.

Ist
also das „Wo“ der Sterbeflächen das Innen, so ist das „Wo“ der Umgebung dann das Außen, ganz nach dem Prinzip der Naturgesetzmäßigkeit, dass es kein Innen ohne Außen gibt.

So
wie einer von uns stirbt, so leben die Anderen in seiner Umgebung.


Mit
der „Toteninsel“ von A. Böcklin, auch wenn sie nur als Bild, als eine künstlerische Idee geboren wurde, lässt sich aber in Beispiel auftun, das uns zu einer besseren Ich-Sterben führen könnte.

Zeigt
uns A. Böcklin noch einen Raum, einen Ort zum Lagern der Toten, so wollen wir gedanklich darüber hinausgehen und daraus eine Sterbefläche selbst machen, also das „Wo will ich eigentlich sterben“ auf die Toteninsel bringen. Sterbe-, Lagerungs- und Verwesungsort in einem. Es wäre damit ein so wunderbares, ein so viel freieres „Wo“ als Gegenstück zu den Sterbeflächen eines unmenschlichen Systems gefunden. Und natürlich, wenn auch nicht von so grausamer Art, zu den Krankenhäusern, zu den Heimen der Alten, eben zu all den Räumen und Orten, in denen wir uns nur sehr widerwillig betten lassen wollen.

Was
braucht ein freier Mensch, was sucht ein ich-bestimmtes Sterben, ...die große Luft, das Wasser, die Erde und immer den weiten Himmel als höchste Raumdecke zum Eintauchen in das universelle Ganze. Alles das bietet uns ein Ziel wie die Toteninsel. Tag oder Nacht sind dort zum Sterben noch auswählbar, jeder ganz nach seinem Wunsch und nach seiner Wesensart. Und die Jahreszeiten mit ihren vielen farbigen Versprechungen.

Ein
aufgeschlossenes Naturzimmer im Raum der Räume, im gefühlten Weltraum, mehr geht nicht und weniger darf es auch nicht sein.

Und
nur die Toteninsel, ganz ohne die gemalte Umgebung, betrachtet, mehr als Ort selbst und nicht als eine im Weltraum eingebundene Ruhestätte.

Bei
genauem Hinschauen ahnt man einen steingewordenen, prächtigen und gut ausgeformten Frauenschoß, mütterlich zu nennen, ein weibliches Felsenbecken mit den beiden Hauptzypressen der Lust in schamhafter, dunkler Mitte. Alles strebt zum Himmel und bleibt doch irgendwie schwer im Meer verankert. Sehnsucht und Wirklichkeit. Auferlösungsgedanke und das Wissen von der Unmöglichkeit davon, denn Sterben: der Tod, Ruhen und Verwesung ist hier.

Und
so ist auch auf unserer „inthronisierten Toteninsel“ von A. Böcklin der Wunsch zur letzten Einkehr immer vordergründig, nämlich: von wo ich gekommen bin, dahin will ich auch wieder zurück, denn die Natur ist der reinste und der größte Mutterschoß. Mit der sehr mystischen, erotisch aufgeladenen Symbolgestalt der Toteninsel gab uns A. Böcklin ein Bild, auf dem wir endlich die ruhenden Geschlechtsakte des Verschwindens üben können.

„Sterben als Geschlechtsakt ohne Anstrengung“

„Sterben
als Geschlechtsakt ohne Anstrengung“ ist ein absolut ich-bestimmtes Sterben, denn wie wir alle wissen, ein „Geschlechtsakt ohne Anstrengung“ ist nur ohne den geringsten Zwang (alle Freiwilligkeiten natürlich eingeschlossen) möglich. Innerlich und äußerlich, also „Ich“ und „Raum“ müssen von jeder Art der Fremdbestimmung gelöst sein, um letztendlich dahin zugelangen, von dem einst F. Hölderlin sprach:

„Eins zu sein mit allem was ist“

Mehr
geht nicht und weniger darf es auch nicht sein.

Berlin, im Januar 2005
Schädelwaldt